Mittwoch, 7. März 2012

Mittwochs-Rezi: Das Wörterbuch des Viktor Vau von Gerd Ruebenstrunk

4 von 5 Eselsohren

Über dieses Buch bin ich regelrecht gestolpert. Die Broschur mit Prägung im Stile eines Notizbuches zusammen mit dem Titelwort "Wörterbuch" hat mich magisch angezogen. Erwartet habe ich ein Fantasy-Buch, das die Inspiration aus der Liebe zu Wörtern, Sprache und Schreiben zieht - ähnlich wie Tintenherz vielleicht. Bekommen habe ich - zu meiner Begeisterung - einen dystopischen SiFi-Thriller, dessen SiFi-Elemente aus der Linguistik und Hirnforschung kommen und der für mich den Begriff "Macht der Sprache" mit neuer Bedeutung versehen hat.


Ein schönes Detail: Das Wörterbuch, das in der Story wie verrückt gejagt wird, hält der Leser die ganze Zeit selbst in der Hand.


 Die Handlung spielt in einer (wer weiß wie) fernen Zukunft, in der die Demokratie nur noch Schau ist. Die wählbaren Oppositionen sind Facetten der herrschenden Klasse, der sogenannten Dynastie. Mulmig wurde mir bei den vielen Parallelen in Sachen Politikverdrossenheit, Pressemacht und Focus der Öffentlichkeit im Vergleich zur heutigen Zeit.

Ausgangspunkt der Geschichte ist die Schöpfung einer "perfekte Sprache". Der leicht autistische Forscher Viktor Vau hat sie im stillen Kämmerlein entwickelt, um die Welt in all ihren Details restlos perfekt abbilden zu können. Von Kollegen verlacht, arbeitet er nur um der Forschung willen und ohne Sinn für Konsequenzen Bereits im Prolog werden Parallelen zu den Entdeckern der Atomkraft gezogen. Und wirklich: plötzlich stürzen sich Forscher, Machthaber, Oppositionelle und internationale Sicherheitsdienste auf Professor Vau und alle wollen sein Notizbuch.

Erzählt wird aus der Sicht eines allwissenden Erzählers, der wechselnd die Blickwinkel verschiedener Protagonisten einnimmt. Neben Prof. Vau, seiner Assistentin, deren neuem Freund und dem Chef des Sicherheitsdienstes gerät auch immer wieder ein Serienmörder dazwischen, der in der Stadt sein Unwesen treibt.

Einen Eselsohr Abzug muss ich aber vornehmen. Warum?
Zum einen, weil ich von einem Buch, das sich um präzise Ausdrücke und perfekte Wörter dreht, ein mehr als penibles Lektorat erwarte. Wenn ich mir in der Handlung über so etwas Gedanken mache, dann lese ich auch den Text kritischer. Ein hoher Maßstab, dem das Buch mit immer wieder verstreuten "Patzern" bei Bindewörtern, Blickrichtungen und Handlungsverläufen leider nicht gerecht wird.
Zum anderen, weil bis zum Schluss unklar bleibt, wo genau die Stadt liegt, die im Zentrum der Handlung steht. Ich tippe auf Deutschland, da der Autor dorther kommt, die Namen mal Französisch, mal Griechisch mal Deutsch sind und der Begriff "Genosse" innerhalb einer Rebellengruppe genutzt wird - aber das ist geraten. Da andere Handlungsstränge, die in Afrika verlaufen, immer wieder klar verortet werden, fehlt mir das bei dem Rest der Handlung enorm.

Aber letztendlich hat mich "Das Wörterbuch des Viktor Vau" positiv überrascht und rasant unterhalten. Vor allem, weil der Autor sich beschränken konnte. Er nutzt die neue Weltordnung als Basis seiner Handlung, setzt die Unwissenheit des Lesers gezielt ein und schließt seine Erzählung innerhalb eines einzigen Buches ab. An manchen Stellen mag alles etwas zu vorhersehbar sein - die Kombination aller Elemente macht für mich aber ein Buch daraus, das ich sehr genossen habe, das meinen Gedanken über Sprache neue Impulse gegeben hat und das ich deswegen sicher noch oft in Gesprächen erwähnen werde.

Erschienen bei Piper ISBN 978 3 492 70224 9

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