Mittwoch, 9. Mai 2012

Mittwochs-Rezi: Die Wächter-Tetralogie von Sergej Lukianenko



5 von 5 Eselsohren

Es gibt wenige Bücher, die mich so nachhaltig beeindruckt haben wie Lukianenkos Wächter-Zyklus. Sprachwelten, Blickwinkel, Konfliktbögen, Erzählqualität – alles hat mich wirklich überrascht.

Ich las ihn unter den Vorzeichen „wurde supergut verfilmt“ und „ist ne Art russischer Harry Potter“. Was ich dann fand, war eine Mischung aus Fantasy, Gesellschaftsutopie und russischer Realität. Das Konzept, die Mechanik und die Protagonisten wurden konsequent zu Ende gedacht.


Genug der großen Worte. Wer russischer Fantasy offen gegenüber steht, sprintet jetzt los und holt sich die vier Bücher:
Wächter der Nacht
Wächter des Tages
Wächter des Zwielichts
Wächter der Ewigkeit

Alle anderen können sich gerne noch meine Meinung zu Gemüte führen.


Setting
Moskau im neuen Jahrtausend bietet in der Realität schon genug Spannung, doch Lukianenko setzt in seinem Universum noch eins drauf. Hier besteht die Welt einerseits aus den normalen Menschen und andererseits aus den von übernatürlichen Kräften beseelten "Anderen" . Diese Anderen teilen sich zwar auf auf in die Guten und die Bösen, doch ganz in der Denke des im kalten Krieg aufgewachsenen Autors haben beide Parteien vor ewigen Zeiten die Patt-Situation erkannt und sich zu einem diplomatischen Miteinander entschlossen. "Das Gleichgewicht der Kräfte" ist das Maß aller Dinge, das akribisch bewacht wird. Die Nachtwache (die Hellen) bewacht das lichtscheue Gesindel und die Tagwache (die Dunklen) bewacht die Gutmenschen. Auf das keiner mehr als der andere bewirke.

Spannungsfelder
Damit ist die Dramatik oft mehr die eines  Agententhrillers mit Extras. Anstatt wie bei Potter oder Twilight auf ein klares wünschenswertes Endergebniss hinzuarbeiten, ist hier schnell fraglich, welche Seite nun im Recht ist und ob es die absolute Wahrheit überhaupt gibt. Statt Deus ex Machina ist Magie eher die Büchse der Pandora.
Lukianenko spielt zwar auch mit der vertraut-westlichen Zauberer-gut-Vampir-fies-Logik und es wimmelt  von magischen Figuren, doch sowohl die Guten als auch die Bösen taktieren und feilschen und keiner hat die Wahrheit gepachtet. Statt dessen verwischen die Grenzen im Dienste der Diplomatie. Wo aber wird ein Weltmodell durch Zugeständnisse verteidigt und ab wann wird es verraten? 

Noch ein Hinweis
Irritierend fand ich anfangs die ganzen Liedtexte, die immer wieder ausführlich auftauchen. Nach und nach aber habe ich festgestellt, dass a) die Texte hintersinnige Hinweise zur Handlung geben und auf keinen Fall ausgelassen werden und dass b) auch andere russische Autoren gerne diesen Trick verwenden - irgendwie ist diese Musikbezogenheit also scheinbar ein bekanntes russisches Stilmittel.

Die einzelnen Bände


Wächter der Nacht
Der erste Band der Wächter-Saga erzählt in drei jeweils abgeschlossenen Geschichten vom sonderbaren Parallelkosmos Moskaus. Pro-Nachtwache fiebern wir erstmal mit den „Guten“ und steigen an der Seite Antons, eines Rekruten der Nachtwache“ in die Welt der Wächter ein.


Wächter des Tages
Auch in Band Nummer zwei werden drei scheinbar unzusammenhängende Episoden erzählt. Jetzt aber wendet Lukianenko das Blatt und macht die Gegenspieler aus dem ersten Band zu den Haupt- und Identifikationsfiguren seiner Geschichte. Das Denken und Hoffen des Lesers wird also geschickt durcheinander gewirbelt und im großen Thriller der Moskauer Zauberwelt verwischen die Begriffe von Gut und Böse auf beunruhigende Weise.


Wächter des Zwielichts
Band drei wartet ebenfalls mit dem alten Muster der drei geschlossenen Geschichten auf, doch zieht sich jetzt unübersehbar ein roter Faden hindurch. Halbwegs pfiffige Leser sind nun ohnehin hinter Lukianenkos Stil gekommen. Die brennende Frage: Was macht die "Anderen" anders? Was bedeutet es für sie, für das vielbeschworene Gleichgewicht der Kräfte? Was für Kräfte sind das überhaupt? Damit wird es deutlich taktischer als die ersten beiden Bücher. Mir gefällt, wie Lukianenko mit den gewachsenen Sympathien des Lesers für die Figuren spielt.


Wächter der Ewigkeit
Band vier ist ein mehr als würdiger Abschluss der Wächter-Tetralogie. Er spannt einen weiten Bogen um die Geheimnisse der Parallelwelt. Schicht für Schicht werden Taktiken und Verträge, Profitsucht und Machtgier vom Kern geschliffen. Zurück bleibt am Ende ein fester, schwarzer, hochkonzentrierter Diamant, gepresst aus den Ideen Lukianenkos. Und das befriedigende Gefühl, dass in einer Welt der Relativitäten und Kompromisse hinter allem eine unumstößliche Wahrheit steht.


Fazit
Die Frage nach Gut und Böse, Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit hat Lukianenko akribisch und hochkonzentriert durchdrungen und in seinen vier Büchern grandios zu Papier gebracht. Wer nur einen der Bände liest, sich von der Episodenhaftigkeit blenden lässt, der verpasst das ideologische Kleinod unter den Fantasyreihen.

Ein Hinweis zum Film
Tut ihn euch bitte nicht an. Danke.

Erschienen bei Heyne, broschiert
Band 1 ISBN 978 3 453 53080 5
Band 2 ISBN 978 3 453 53200 7
Band 3 ISBN 978 3 453 53198 7
Band 4 ISBN 978 3 453 52255 8


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