Mittwoch, 19. Februar 2014

Mittwochs-Rezi: Lockwood & Co. - Die seufzende Wendeltreppe von Jonathan Stroud

Inspiriert durch die Aufgabe # 18
der Fantasize-Challenge.
4 von 5 Eselsohren

Harry Potter meets John Sinclair. Super! Ja, schon klar: viele Bücher wurden als "neuer Harry Potter"
angepriesen, doch "Lockwood & Co." ist die erste Serie, auf die das meiner Meinung nach 100% zutrifft. Detailverliebt, magisch, alltäglich, britisch und mit sympatischen Figuren. Allerdings viel, viel gruseliger als Hogwarts. Einzig die Zauberer fehlen, aber sonst wäre es ja eine billige Kopie.

Worum gehts? Ein Problem ist vor einigen Jahren in England aufgetreten: Geister sind plötzlich allgegenwärtig und sie sind tödlich. Gesehen werden sie nur von Kindern, tödlich sind sie für alle. Deswegen gibt es die Agenturen. Die beschäftigen jugendliche Geisterjäger, die sich,  begleitet von erfahrenen Beratern, in die Gefahrenzonen begeben.

Wir erleben diese Welt durch die Augen von Lucy. Das junge Mädchen lässt ihr ärmliches Dorfleben und ihren verantwortungslosen Ausbilder hinter sich, um in London ein neues Leben zu beginnen. Arbeit findet sie in einer kleinen Nachwuchsagentur. Und los geht die wilde Geisterjagd!

Ein Eselsohr Abzug gibt es für die Performance der Sprecherin Judith Hoersch.


Die Charaktere
Lucy ist ein bodenständiges Mädchen mit einem vernünftigen Selbstbewusstsein. Ohne ordentliches Zeugnis findet sie im Agenturdschungel von England nur bei Lockwood & Co. Arbeit. Die Mitarbeiter Anthony Lockwood und George Cubbins sind selbst noch Jugendliche und werden von den Behörden argwöhnisch beobachtet.

Hauptquartier ist Lockwoods altes Stadthaus, das er seit dem Verschwinden seiner Eltern allein bewohnt. Diese WG ist herrlich sympathisch. George ist ein ungepflegter, unfreundlicher Junge, hinter dessen speckigem Aussehen ein Meister der Recherche und Forschung verborgen ist. Lockwood ist ein smarter, selbstbewusster Jungspund, der mich etwas an Artemis Fowl erinnert.


Das Setting
Sobald es dunkel wird, manifestieren sich allabendlich die Geister. Kommen sie in die Nähe der Menschen, lösen sie bei ihnen hochgradige Depressionen bis zur Todessehnsucht aus. Eine Geisterberührung führt zu "Geistersieche", die wiederum über kurz oder lang zum Herzstillstand führt.

Die Menschen schützen sich mit Eisen, Silber und Licht. Um einen Geist loszuwerden, muss man ihn bannen. Dazu gilt es die physische Kraftquelle des Geistes zu finden und das sind in der Regel die menschlichen Überreste. Anzeichen für eine solche Quelle sind Spinnen, Kälte und Angstzustände. Danke. Licht an! Stroud versteht es, das Grauen heraufzubeschwören - für mich bis kurz hinter die Schmerzgrenze.


Der Plot
Im ersten Band lernen wir London zur Geisterzeit, die drei Hauptcharaktere und einige Nebenfiguren kennen. Die titelgebende seufzende Wendeltreppe taucht erst etwa nach der Hälfte der Lektüre auf. Geisterjäger sind bei Stroud sowas wie Gruseldetektive, weshalb mich die Stimmung hin und wieder an die drei Fragezeichen oder Point Whitmark erinnert hat.

Nach der pressewirksamen Lösung eines Falles (die leider auch das Abfackeln des heimgesuchten Hauses beinhaltete) sieht der ehrgeizige Lockwood seine Stunde gekommen, der realistische George jedoch hat mit seiner Angst vor schlechter Presse recht: die Auftragsbücher leeren sich. Da kommt ein prominenter Auftraggeber gerade recht, so sehr der neue Fall auch nach Kamikaze klingen mag...


Hörbuch-Umsetzung
Die Lesung des Stoffes ist leider gar nicht gelungen. Ich vermute, dass man Frau Hoersch einfach nicht genug Studiozeit geben konnte, denn die meisten Stimmen bekommt die Sprecherin gut hin, sie erkennt aber leider nicht immer rechtzeitig, wen sie gerade spricht. Dazu kommen viele Betonungsfehler, die wie vorzeitig beendete Sätze klingen.

Der Stil würde einer ehrenamtlichen Vorleserin live alle Ehre machen. Von einer Studioproduktion mit professioneller Schauspielerin erwarte ich aber mehr. Dieses Stocken und fehlbetonen nimmt der Geschichte einen guten Teil der Atmosphäre. Dank Frau Hoersch konnte ich das Grauen an den schlimmsten Stellen ausblenden. Hätte Julia Nachtmann diese Geschichte gelesen, hätte mir das echte Alpträume beschert.


Fazit
Stroud erzählt wieder wundervoll. Lockwood & Co. ist zwar weniger episch als sein Bartimäus aber immerhin auch weniger gruselig als sein "Tal der Wächter" - noch? Wer sich mit Freude auf John Sinclair, Point Whitmark und Ghostbusters stürzen kann, der wird mit Lockwood & Co. irre viel Spaß haben. Für zarte Seelen ist diese Geschichte eine Herausforderung. Aber der Autor wirft dem ängstlichen Leser viele Rettungsanker hin und die mutige Protagonistin sorgt für Selbstbewusstsein.

Auch ich freue mich schon auf Band 2, denn viele Andeutungen in dieser Geschichte versprechen viel Aufregung in den nächsten Büchern. Sowohl Lucy und ihren Kollegen als auch Jonathan Stroud wünsche ich mehr als 3 Bände - um genügend Zeit für die Lösung der großen Sieche zu haben und dennoch die unaufgeregt-aufregende Erzählweise beizubehalten. Ich fühle ein Versprechen auf mehr gute Geschichten.




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